9 - Der Kreis hat sich geschlossen

 

Im letzten Jahr, 2020, habe ich mich mit einer Holz-Skulptur für den Luxembourg Art Prize beworben. Das ist ein jährlicher internationaler Kunstpreis, vergeben von La Pinacotèque, einem privaten Museum im Großherzogtum Luxemburg. Er wurde vor sechs Jahren ins Leben gerufen, um weltweite Talente aus allen Altersklassen, die Amateure oder Profis sein können, aufzuspüren. Eine der Teilnahmebedingungen war auch das Erstellen eines eigenen Künstlerprofils. Da ich eine autodidaktische Künstlerin bin, tat ich mich einige Wochen sehr schwer.

 

Schreiben ist wie Malen und Gestalten eine wichtige Ausdrucksform für mich. Indem ich über meine Kunstwerke, ihre Entstehung und über meine Erfahrungen damit schreibe, erschließt sich mir die Tiefe meiner Arbeit. Über mich selbst zu schreiben fällt mir nicht so leicht. Wie könnte ich meine Identität definieren, meinen künstlerischen Lebenslauf schreiben, ohne Studium oder Ausbildungen in diesem Bereich vorweisen zu können? 

Ich bin schon mein Leben lang von einem kreativen Geist beseelt, dachte ich, traute mich jedoch nicht, das aufzuschreiben. Ohne diesen Satz war da aber nur Leere; ein Ringen mit mir selbst und mit Leere.

 

In dieses Ringen hinein erreichte mich die E-Mail eines Menschen, den ich seit 42 Jahren nicht mehr gesehen habe. Er schrieb mir, er habe am Vortag zufällig meine Webseite entdeckt und sich sehr darüber gefreut zu sehen und zu lesen, dass alles, was damals vor über 40 Jahren schon ganz offensichtlich gewesen ist, in meinem Leben Raum und Ausdruck gefunden hat. Ich war sprachlos. Staunen. Freude. Dankbarkeit. Ich glaube nicht an Zufälle. Dieser Hinweis auf das damals für andere bereits Offensichtliche kam für mich wie eine Botschaft aus dem Jenseits und setzte dem Ringen ein Ende. Also:

 

Ich bin schon mein Leben lang von einem kreativen Geist beseelt, der sich in vielen Ausdruckformen immer wieder anders äußert und weiterentwickelt. Als autodidaktische Malerin, Bildhauerin, Gestalterin und Schreiberin lasse ich mich von dem leiten, wonach es mich tief innen drängt, von dem, was unbedingt ausgedrückt werden möchte. Die Natur, mit ihren Materialien, Farben, Formen und Geschöpfen inspiriert mich. Ich könnte sagen, ich finde, ich verwandele, ich gestalte z.B. Holz, Steine, Farben etc., doch in Wirklichkeit lasse ich mich finden, lasse mich anspringen davon wie Materialien im jeweiligen Kontext zu mir sprechen und folge demütig dem inneren Auftrag ohne etwas zu wollen oder zu forcieren. So sehe ich mich als Dienerin meiner Intuition, als Werkzeug verschiedener Elemente, die durch mich einen Ausdruck finden.

 

Mein Leben ist ein stetiges Streben nach Licht in allen Bereichen. Licht im Sinne von Ganzwerdung, von Bewusstwerdung, von einer Balance aus Wunde und Schönheit, von der Fokussierung auf das Wesentliche. Das Finden und die Entwicklung meines Selbst sind eng verbunden mit der Entwicklung meiner Kunst. Bis ich 29 war verschenkte ich alles Geschaffene. Es handelte sich dabei meist um plastische Arbeiten und Geschriebenes und war meine einzige Möglichkeit gewesen, mich Menschen zu nähern und auszudrücken, was ich empfand. 

 

Die erste Geburtsstunde meiner heutigen Kunst fiel in mein 30. Lebensjahr und ist gleichzeitig die Geburtsstunde meiner Identität. Ich begann, meine Biografie aufzuarbeiten und gebar eines Tages in einem Wutanfall darüber, dass ich nur für andere kreativ sein konnte und nicht für mich, meine Linie auf dem Papier.

 

Ich nenne es die Geburt meiner Linie, weil das Ergebnis zuriefst individuell war, befriedigend, unverkennbar ich, für mich. Ich erkannte mich darin, ohne es erklären zu können. Im selben Moment konnte ich alle Vorstellungen und geistigen Beschränkungen darüber hinter mir lassen, wie es auszusehen hat, wenn man malen kann, wenn man gestalten kann etc. Es war meine Handschrift und fühlte sich so an, als hätte ich die göttliche Steckdose gefunden. Eine wahre Flut von Bildern ergoss sich aus mir und über zwei Jahre ausschließlich für mich. Als ich eine Ahnung davon bekam, dass diese Quelle nicht mehr versiegen würde, begann ich, mich damit zu zeigen.

 

Meine innere Ausdehnung verlangte im Laufe der Zeit nach größeren Formaten und unterschiedlichen Methoden und Materialien -  Buntstift, Seide, Acryl, Aquarell, Tusche, Kreide, Kaffee, Ton, Steine, Marmor, Holz, Muscheln, Sand, Draht ... und Wörter. Ich folgte dabei - und das ist auch so geblieben - inneren Gesetzmäßigkeiten so lange, bis die Impulse schwächer wurden, was stets einen neuen Entwicklungsschritt bedeutete und damit Veränderung. Je freier ich wurde, umso mehr dehnte sich meine Künstlerseele aus. Je mehr sich meine Künstlerseele ausdehnte, umso freier wurde ich.

 

Die zweite Geburtsstunde meiner künstlerischen Identität fiel in mein 57. Lebensjahr als ich begann Stein und Marmor zu bearbeiten und in der Folge Holz. Etwas wegzunehmen, damit eine Form Gestalt annehmen kann, war eine Offenbarung für mich und ich wollte nie mehr damit aufhören. Es fühlte sich ganz tief so an wie die Arbeit an mir selbst. Auch ich habe sehr viel losgelassen, um die zu werden, die ich heute bin und bin damit noch lange nicht fertig. Daher sind meine Arbeiten sehr persönlich. Es fließen Themen mit ein, die mich im Kontext mit der Welt und als Teil davon beschäftigen. Dies geschieht nicht bewusst, sondern intuitiv. Jedes fertiggestellte Werk löst etwas in mir und wird in die Welt entlassen mit der Hoffnung, im anderen etwas zum Schwingen zu bringen, das weiterwirkt.

 

Meine grundsätzliche Motivation ist immer der innere Auftrag, die Suche nach mir selbst, nach meinem Platz in der Welt, nach dem Wesentlichen, meiner Bedeutung und Funktion. Jedes Werk, jedes geschriebene Wort ist ein Beweis für meine Existenz und meine Einzigartigkeit als Mensch. Es ist eine, nach außen gebrachte, Facette meines Selbst als Kommunikation mit mir und der Welt. Häufig, wenn ich eine fertige Arbeit betrachte, wundere ich mich - wo kommt das her? Es ist aus mir gekommen, also muss all das in mir sein. Das ist der Moment, indem ich das Geschenk empfange. Ein so vollkommener Moment, dass es unwichtig für mich ist, ob das Werk irgendwem sonst auf der Welt gefallen könnte. Ich schenke mich in erster Linie mir selbst, indem ich meiner Intuition, meinem Herzen folge. Das ist mein Geschenk an die Welt. 

 

Ende 2017, ich hatte zwei Jahre zuvor meinen Beruf aufgegeben, um mich neu zu orientieren, erlaubte ich mir, meinem tiefsten Herzenswunsch zu folgen. Ich mietete einen Atelierraum, um mich ausschließlich meiner künstlerischen Arbeit zu widmen und erlebte eine Zeit großer Inspiration und Entfaltung. Die Entscheidung für das Atelier war eine Entscheidung für mich und mein Selbstverständnis als Künstlerin. Es entstand ein kreativer Flow, in dem meine Arbeit erwachsener und reifer wurde, was sich besonders in meinen Holzarbeiten zeigt, in den Acrylbildern der Serie 'Zum Licht' und in meinem Blog. Auch wenn ich im Juni 2019 das Atelier aus Kostengründen erst einmal wieder aufgeben musste, hat sich an diesem Selbstverständnis nichts geändert. Zunächst fühlte ich mich zwar ein wenig ausgebremst, doch dann folgte eine Zeit der Sammlung und der Etablierung. 

 

Verschiedene Angebote, meine Arbeiten auszustellen, beflügelten mich und die Vorbereitungen machten mir sehr viel Freude. Einem starken Impuls folgend, schrieb ich zu jedem ausgestellten Werk etwas zu seiner Entstehung, um es im Falle eines Verkaufs als Zertifikat mitzugeben. Es geht mir dabei nicht darum, meine Arbeit zu erklären, sondern die Geschichte zu erzählen und welche Bedeutung sie für mich hat. Dabei erschließt sich das Werk auch mir selbst noch einmal tiefer. Inspiriert davon schrieb ich nach und nach weitere Zertifikate und fügte meiner Webseite eine neue Rubrik 'Einblicke' hinzu, in der ich über meine Erfahrungen mit den verschiedenen Materialien erzähle. Das Schreiben ist ein wesentlicher Teil meines künstlerischen Ausdrucks. Die Verbindung von Malen, Gestalten und Schreiben empfinde ich als großen inneren Reichtum, den ich unbedingt teilen möchte.

 

Der Blick zurück in die Zeit lange vor der ersten Geburtsstunde meiner Kunst, bestätigt was der Freund aus Schulzeiten als offensichtlich gesehen hat. Der Unterschied zwischen damals und heute liegt neben der Qualität meiner Arbeit nur in meinem Selbstverständnis. Kunst ist nicht mehr meine einzige Möglichkeit, mich Menschen zu nähern und auszudrücken, was ich empfinde. Es ist meine natürlichste, liebste, wesentlichste und kraftvollste Art, mich zu zeigen, etwas von Gott Gegebenes, das mich getragen und geführt hat und für das ich zutiefst dankbar bin. Heute weiß ich, es ist schon immer meine Bestimmung gewesen, eine Künstlerin zu sein. In meinem Künstlersein höre ich die Stimme Gottes in mir am lautesten und fühle mich am stärksten mit der Schöpfung verbunden.

 

Ich bin beim Luxembourg Art Prize 2020 zwar nicht nominiert worden, fühle mich jedoch allein durch das Schreiben des Künstlerprofils und die Prozesse, die damit zusammenhingen, wie eine Gewinnerin. In mir hat sich ein Kreis geschlossen. Durch eine plötzliche Draufsicht auf mein Leben konnte ich mich selbst in meiner Vergangenheit abholen.

 

Danke fürs Lesen.

Danke fürs Teilen.

 

Bis zum nächsten Mal,

herzlichst,

 

Petra Froese

 

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Links:

 

Hier kommst Du zur offiziellen Seite des Luxembourg Art Prize

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Kommentare: 4
  • #1

    Petra Rietz (Montag, 25 Januar 2021 20:37)

    Ich bin zutiefst berührt von dem, was Du schreibst, beschreibst. Danke für Deine Offenheit. Mir kommt direkt das Gedicht LEBE von Joseph Beuys, dessen 100er Geburtstag in dieses Jahr fällt und dessen Ideen zeitgemäßer sind denn je und für den die Kunst ebenfalls ein Mittel zur Entwicklung und Ausdruck des Lebenspfades war - zumindest verstehe ich mittlerweile viele seiner Arbeiten für mich.

    Lass dich fallen.
    Lerne Schlangen zu beobachten.
    Pflanze unmögliche Gärten.
    Lade jemand Gefährlichen zum Tee ein.
    Mache kleine Zeichen, die „Ja“ sagen
    und verteile sie überall in deinem Haus.
    Werde ein Freund von Freiheit und Unsicherheit.
    Freue dich auf Träume.
    Weine bei Kinofilmen.
    Schaukel so hoch du kannst mit einer Schaukel bei Mondlicht.
    Pflege verschiedene Stimmungen.
    Weigere dich „verantwortlich“ zu sein. Tu es aus Liebe.
    Mach viele Nickerchen.
    Gib Geld weiter. Das Geld wird folgen.
    Glaube an Zauberei.
    Lache viel.
    Bade im Mondlicht.
    Träume wilde phantasievolle Träume.
    Zeichne auf die Wände.
    Lies jeden Tag.
    Stell dir vor, du wärst verzaubert.
    Kichere mit Kindern.
    Hör alten Leuten zu.
    Öffne dich, tauch ein, sei frei.
    Segne dich selbst, lass die Angst fallen, spiele mit allem.
    Unterhalte das Kind in dir.
    Du bist unschuldig.
    Baue eine Burg aus Decken.
    Werde nass.
    Umarme Bäume.
    Schreibe Liebesbriefe.

    Alles Liebe und mach weiter!

  • #2

    Barbara Graml (Montag, 25 Januar 2021 21:41)

    Liebe Petra,
    die dir zutiefst eigene Ausdruckweise strahlt soviel Wahrheit, Authentizität, Zartheit und Liebe zu deiner inneren Berufung aus, dass es mich tief im Herzen berührt. Ich freue mich sehr für dich, dass du deinen Weg gefunden hast und in der Verbindung zum Außen die Menschen, die dies lesen, an diesem ganz besonderen Schwingungsfeld, das dich ausmacht, teihaben lässt.
    Schön, dass es dich gibt.

  • #3

    Vera (Donnerstag, 28 Januar 2021 18:41)

    Ich liebe ganz viele Deiner Kunstwerke und bewundere Dein Händchen immer die richtigen Worte zu finden! Weiterhin viel Freude und Liebhaber Deiner Werke.
    Ich bin definitiv ein großer Fan :)

  • #4

    Renate Deckart (Montag, 22 Februar 2021 18:57)

    Du hast die Entsteheung einer Künstlerin, die Geburt Deiner Künstlerpersönlichkeit sehr eindrucksvoll beschrieben! Und alle Werke, die ich von Dir kenne, drücken genau diese Schöpferfreude aus, die ganz deutlich spürbar ist. In jedem einzelnen Stück. Und was mich immer schon besonders beeindruckt, ist Deine völlige Unabängigkeit von äußerem Erfolg, die für mich auch immer deutlich spürbar war. Das ist in meinem Empfinden das wirkliche, das reine Künstlertum, das nämlich eigentlich frei ist von Ehrgeiz und Wettbewerbsdenken. Und trotzdem wünsche ich Dir auch äußere Anerkennung und Erfolge! für Deine "Kinder" - einfach weil sie es von der Welt wert sind, gesehen zu werden!